Jede Minute ist kostbar

Jede Minute ist kostbar

 

Ich war Gast im fremden Wagen. Mein Nachbar hatte mich über Land mitgenommen. Er saß mit Frau und Kind im Wagen und hatte es überaus eilig. Wir näherten uns einer kurzen, aber kurvenreichen Strecke. Ein Warnschild nach dem anderen. Höchstgeschwindigkeit 50 Kilometer, stand auf einem. Mein Nachbar nahm den Fuß nicht vom Gashebel. Erschrocken lese ich auf dem Tachometer: „80… 90… 100… 130… „Ich nehme allen Mut zusammen. „Weniger Gas!“, sagte ich.

„Haben Sie Angst?“

„Die Kurven!“

Mein Nachbar lachte: „Ich habe es eilig. Es kommt auf jede Minute an.“

Das ist ein Argument. Ich sage nichts mehr. Ich mache die Augen zu und erwarte mein Schicksal.

Es ist noch einmal alles gut gegangen.

Als wir weiterrollen, frage ich nebenbei: „Wie alt sind Sie?“

„Dreißig“, sagt der Nachbar.

„Da haben Sie das Leben noch vor sich. Noch mindestens 20 Millionen Minuten!“

„Ich rechne fest damit!“, sagt er.

„Zweiundzwanzig.“

„So herrlich jung! Da hat sie voraussichtlich noch 25 Millionen Minuten zu leben. Und wie als ist ihr Kind?“

„Der Kleine? Vier Jahre!“, sagt er und lacht dem Kind glücklich zu.

„Vier Jahre! Wie beneidenswert! 35 Millionen Minuten Leben liegen noch vor ihm.“

„Das möchte auch sein“, sagt er und sieht mich mit dummem Gesicht an, „warum erzählen Sie mir das alles?“

Ich sage‘: „Weil ich nicht verstehen kann, wie ein vernünftiger Mensch durch schnelles, unvorsichtiges Fahren zusammengerechnet 80 Millionen kostbarer Minuten riskiert, um eine einzige Minute zu gewinnen …“

 

Quelle: Sinndeuter 1, georgsverlag, Peter Bleeser